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Weiteres Vorgehen nach Hypoxämie und Reanimation

Autor
Datum
seriouslynothing
19.01.2015, 23:34 Uhr

Hallo,

meine Frau, 30 Jahre jung, ist am 5. Januar '15 mit Kammerflimmern und Atemstillstand auf die Intensivstation gekommen. Sie lag zwei Tage lang vollsediert (also im "künstlichen Koma"), beatmet und mit therapeutischer Hypothermie, anschließend noch bis zum 12. bei langsamer Wiedererlangung des Bewusstseins auf der Intensivstation. Keine Vorerkrankungen, keine Drogen oder Medikamente, regelmäßige Spaziergänge mit dem Hund, Wanderurlaube, Normalgewicht, vermutlich eine erbliche Ursache (leicht vergrößertes Herz, Long-QT-Syndrom). Eine schlüssige Diagnose der Ursache habe ich bisher noch nicht gehört.

Seit dem 12. liegt sie nun auf der kardiologischen Station und wird morgen einen Defibrillator implantiert bekommen. Durch die Hypoxämie hat sie motorische- und Koordinationsschwierigkeiten, sie kann nicht gefahrlos alleine laufen, nicht alleine essen ohne die Hälfte auf dem Bett zu verteilen, hat ein praktisch nicht vorhandenes Kurzzeitgedächtnis und etwa ab Anfang Dezember ausgeprägte Gedächtnislücken, zum Teil auch schon deutlich vorher (einige Bekannte erkennt sie, kann sie aber nicht einordnen, Einschläfern der heißgeliebten Katze vor einem halben Jahr, sie war selbst dabei, ist komplett weg, Familie und Freunde kann sie aber komplett einordnen und hat sie lieb wie immer).

Zusätzlich hat sie unaufhörlich Myoklonien (Zuckungen), gegen die sie viermal täglich Levetiracetam bzw. Keppra bekommt. EEG und CT haben keine Auffälligkeiten gezeigt. Sie war zweimal im MRT, aber durch die Myoklonien waren die Aufnahmen nicht gut auswertbar. Durch die Reanimation hat sie auch einige gebrochene Rippen.

Das große Problem ist im Moment: Die Sozialarbeiterin konnte bis jetzt noch keinen Reha-Platz organisieren, weil der Kostenträger noch nicht fest steht. Der Kardiologe sagte, dass sie einen (!!) Tag nach der Implantation entlassen werden soll. Sie hat, seit sie auf der Kardiologie liegt, keinen Neurologen gesehen (!!), und nur alle zwei Tage mal ein paar Schritte mit dem Physiotherapeuten (sehr netter Mensch) gemacht, ansonsten gehe ich ein oder zweimal am Tag für ein paar Minuten mit ihr auf der Station spazieren.

Sie selbst sieht ihre Hilfsbedürftigkeit nicht vollständig ein (wofür ich ihr nicht böse bin, aber da immer die Geduld zu behalten fällt jetzt schon manchmal schwer). Sie steht alleine auf (ist schon umgefallen), redet davon keine Reha machen zu wollen, in ein paar Wochen wieder arbeiten zu gehen, etc. Wenn man ihr sagt, dass sie den Arm nicht über Schulterhöhe heben darf, hat sie das einen halben Tag später vielleicht vergessen.

Ich bin praktisch den ganzen Tag bei ihr, Haushalt, Studium, Sport, Freunde etc. bleiben im Moment komplett liegen.

Auf der Kardiologie interessiert sich niemand für die neurologischen Probleme, der Arzt erklärt ihr morgens bei der Visite kurz was los ist, aber durch die Gedächtnislücken hat sie das alles schon vergessen oder durcheinandergebracht, wenn ich etwas später komme. Wenn die Schwester ihr eine Spritze gibt, heißt es "keine Angst, ganz ruhig. Nun halten Sie doch mal still!", obwohl sie für die Myoklonien ja garnichts kann. Wenn ich zwei Ärzte frage kriege ich drei Meinungen, und der Aufklärungsbogen vor der OP morgen sagt wieder komplett was anderes.

Ich bin kein bisschen vorbereitet, meine Frau jetzt eine oder zwei Wochen in diesem Zustand zu Hause zu haben, ich kann nicht einsehen, dass sie einen Tag nach einer Herz-OP entlassen werden soll, und dass sie noch keinen Reha-Platz hat. Die einzige, die mein Problem im Moment versteht, weil ich viel mit ihr rede, ist meine Mutter (Kinderkrankenschwester), Freunde und Verwandte sind froh dass sie entlassen wird, und denken "naja, das bisschen kleckern beim Essen, das wird schon wieder." Das will ich nicht falsch verstanden haben, alle sind eine tolle Unterstützung für uns beide, aber eben nicht in meiner Situation. Das ist zumindest mein Eindruck, ich kann mich da irren und will auch niemandem etwas vorwerfen!

Kurz gesagt: ICH brauche jetzt einfach auch Hilfe, ich weiß einfach gar nicht was ich jetzt machen soll, an wen ich mich wenden kann um mir im Gespräch Hilfe zu holen und wie ich für eine möglichst schnelle Besserung sorgen kann. Anfangs war ich sehr optimistisch, weil sie in den ersten Tagen große Fortschritte gemacht hat, aber die Fortschritte werden von Tag zu Tag kleiner, und die Sozialarbeiterin hat sie am 15. noch als Pflegestufe 1 eingeordnet. Seit gestern ist mir das alles klar geworden und der Optimismus weicht langsam riesiger Angst und Depression. Wie soll ich damit umgehen, ich kann sie ja nicht einfach zu Hause alleine lassen, sie denkt ja sie kann alles machen. Dann kocht sie sich nen Tee und schüttet sich die Tasse über den Latz, oder steigt auf den Hocker um ein Buch aus dem Regal zu holen, oder 1000 andere Sachen. Ich möchte auch nicht den ganzen Tag mit ernster Miene vor ihr sitzen und grübeln, ohne dass sie versteht warum, und dass ich nicht sauer auf sie bin. Oder wie die Henne auf dem Ei sitzen, immer hinter ihr stehen und sie bevormunden.

Ich habe zwar das Glück, Student zu sein und nicht arbeiten zu gehen, aber ich bin mit der Situation einfach vollkommen überfordert und fühle mich sehr allein gelassen, zumal niemand richtig klar sieht, dass noch ein weiter Weg vor ihr liegt. Ich bin auch nicht der Typ Mensch, der Ärzten Druck machen kann. Alle Fragen, die ich Abends habe sind beim nächsten Gespräch weg und ich will eigentlich nur wissen wie es jetzt weiter geht. Ich bin nicht wütend auf Ärzte oder Pflegepersonal, aber würde mir etwas mehr Initiative wünschen.

Haben Sie Vorschläge für mich, an wen ich mich als nächstes wenden kann? Sie braucht Neuro-Reha, Physiotherapie, vermutlich in einigen Wochen psychologische Betreuung, und ich brauche im Moment einfach Unterstützung und am liebsten auch psychologische Beratung. Dass Gefühl, dass niemand einsieht, wie Ernst die Situation ist, macht mich im Moment ziemlich fertig. Ich werfe das niemandem vor, vor zwei Wochen kannte ich Reanimation auch nur aus dem Fernsehen: Augen auf, "was ist denn passiert?".

Für einen ersten Hinweis, wie ich mit den Ärzten, der Sozialarbeiterin, den Kostenträgern für die Reha umgehe, und wo ich das Gespräch suchen kann mit Leuten die wissen, wovon ich überhaupt rede, wäre ich im Moment unendlich dankbar. Ich wohne in NRW, PLZ 456xx.

Vielen Dank und "herzliche" Grüße

Dr. med. Karl-Friedrich Schmitz
20.01.2015, 19:06 Uhr

Sehr geehrter Nutzer dieses Forums.

Zunächst vielen Dank für die ausführliche Schilderung Ihrer Situation. Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihnen die derzeitige komplexe Situation physisch und psychisch über den Kopf wächst und Sie Hilfe benötigen. Zunächst kann ich ihnen nur raten, bei den Ansprechpartnern im Krankenhaus auf Ihre Situation hinzuweisen und mit Ärzten, Pflegepersonal und dem Sozialdienst das Gespräch zu suchen. Solange Ihre Frau in der Klinik liegt, sind diese Ihre Ansprechpartner und Sie sollten dies nutzen. Vordringlich erscheint mir, dass für Ihre Frau möglichst unmittelbar anschließend an den Krankenhausaufenthalt ein Platz in einer geeigneten stationären Rehaeinrichtung gefunden wird. Dort stehen dann in genügender Anzahl Therapeuten zur Verfügung. Oft ist es bei jüngeren Patienten erfreulicherweise ja so, dass neurologische Defizite nach einer akuten Hypoxie sich doch noch weitgehend oder sogar ganz zurückbilden. Diese Hoffnung sollten und brauchen Sie nicht aufzugeben. Sollten Sie das Gefühl haben, einen zwischenzeitlichen Aufenhalt Ihrer Frau zu Hause nicht managen zu können, teilen Sie dies dem Krankenhaus mit.

Im ambulanten Bereich müssten sie sich ansonsten baldmöglichst einen kompetenten Hausarzt suchen, der die Situation überwacht und notfalls dann auch eine Wiedereinweisung ins Akutkrankenhaus bis zur Verlegung in die Rehaeinrichtung veranlassen kann. Ich bin mir bewusst, dass dies für Sie jetzt alles sehr viel erscheint aber nur wenn Sie auf Ihre Not und Hilfsbedürftigkeit ausreichend klar hinweisen, kann und wird man Ihnen und Ihrer Frau helfen.

Viele Grüße
Karl-Friedrich Schmitz

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